Augenblick mal

3. März – 3. April 2011

Museum der Stadt Bad Berleburg

 

 

Benno Derda  ·  Andrea Freiberg  ·  Renate Hahn  ·  Dagobert Koblenzer  ·  Kai-Uwe Körner  ·  Petra Oberhäuser  ·  Bruno Obermann  ·  Helga Seekamp  ·  Ingo Schultze-Schnabl  ·  Olaf Neopan Schwanke

 

Begrüßung: Bernd Fuhrmann, Bürgermeister der Stadt Bad Berleburg

Einführung in die Ausstellung: Monika Liesegang, Freie Mitarbeiterin am Museum für Gegenwartskunst, Siegen

 

Unter dem Titel „Augenblick mal“ zeigen 10 Künstlerinnen und Künstler vom 3. März bis zum 3. April eine Auswahl ihrer Arbeiten im Museum der Stadt Berleburg. Seit knapp 90 Jahren besteht die künstlerische Gemeinschaft, eine der ältesten in Deutschland überhaupt. eine Arbeitsgruppe, deren Mitglieder sich immer wieder neuen künstlerischen Dialogen und öffentlichen Herausforderungen im In- und Ausland stellen. So unterschiedlich die Arbeitsweisen und Themen der Mitglieder auch sind, so ist es gerade die künstlerische Vielfalt, durch die sich die Künstlergruppe auszeichnet.

Benno Derda, Andrea Freiberg, Renate Hahn, Dago Koblenzer, Kai-Uwe Körner, Petra Oberhäuser, Bruno Obermann, Helga Seekamp, Ingo Schultze-Schnabl und Olaf Neopan Schwanke stellen sich der künstlerischen Herausforderung, für den „Augenblick“ einer einmonatigen Ausstellung einen Ausschnitt ihrer Kunst vorzustellen. Die plastischen, zeichnerischen, malerischen und fotografischen Arbeiten weisen nicht nur eine große Bandbreite der verwendeten Medien und Arbeitsweisen auf, sondern schaffen im Zusammenspiel visuelle Korrespondenzen, die weit über die unterschiedlichen inhaltlichen Auseinandersetzungen und die Materialfragen hinaus gehen. Schafft nicht die Kunst selbst in der Distanz zur Wirklichkeit eine eigene bildliche Sprache, die im Innehalten aus den alltäglichen Routinen dem Blick eine neue Richtung und dem Denken eine neue Spur ermöglicht?

Mit „Augenblick mal“ zeigen die Künstlerinnen und Künstler nicht nur einen Augenaufschlag Kunst, sondern ein breites Wahrnehmungsangebot, welches die Bewegung in der Begegnung mit Kunst entschleunigt und neue Erfahrungen mit unserer Lebenswirklichkeit veranlassen kann.

 

Einführung von Monika Liesegang M.A. am 3.3.2011

„Augenblick mal!“

Augenblick mal! Könnten sie mal kurz für einen Monat stehenbleiben? Mal kurz innehalten? Mal kurz…, denn, in diesem Haus vereinen sich für einen Monat 10 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler mit einer Auswahl ihrer Arbeiten. Die Gemeinschaft lebt und präsentiert seit gut 90 Jahren Kunst aus der Region, lebendig durch immer wieder neue, unermüdlich arbeitende Künstler.  Kein Programm sortiert, der rote Faden knüpft sich selbst als Kommunikation mit unser aller Hier und Jetzt.

Als ich den Einladungsflyer bekam, war ich seltsam zufrieden, denn er nimmt ein inneres Bild auf, das die Aussicht auf diese Ausstellung schon ausgelöst hatte. Viele Einblicke, verheißungsvolle Öffnungen, die man aktiv erweitert,  und den Ausblick auf Bilder einer  Welt dahinter vorfindet. Kleine Fenster in regelmäßiger Anordnung, die den Betrachter begleiten, wenn wir sie nutzen- einen Monat lang. Kennen sie auch dieses innere Bild?

Der Adventskalender, befremdend momentan in Erwartung des Frühlings. Das Prinzip jedoch: Wie gemacht für den  Menschen an sich, kindhaft sehnsüchtig nach Geheimnis und Belohnung.  Ein Objekt, erfunden,  einen Zeit-Raum zu begleiten, seine Dauer erträglich zu machen.. Der Mensch handelt  mit diesem Begleiter. Interaktiv. Er schärft Bewußtsein für Zeit, die vergeht und Zeit die kommt. Und diese nicht als zu überwindendes Hindernis, sondern als tägliches Geschenk. Erst nachdem man sich 24 Tage mental Richtung Erfüllung ausgerichtet  hat ist man bereit für die versprochene Bedeutung. Jedenfalls steigt die Wahrscheinlichkeit…auch bei Erwachsenen. Bei einigen der hier vertretenen Künstler ist die Vielfalt der Öffnungen werkimmanent. Allen gemeinsam ist das Erschaffen von Einblicken in Räume, auf allen Ebenen.

Andrea Freiberg steht für die Vielfalt der Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks. Sie benutzt unsere eigene innere Bildwelt, reichert sie an und gibt sie uns zurück: zum Verstehen, zur weiteren Befragung. Sie verfremdet das schon mal Gesehene und tastet auf diesem Weg Grenzen ab, verschiebt sie auch dann und wann.

Unser räumliches Denken funktioniert durch Grenzziehung, d.h., es wird durch Ein-und Ausgrenzung definiert. Es gibt in der Kunst den Begriff des „displacement“. Er spielt mit konventionellen Grenzziehungen, reflektiert sie und definiert sie neu. Prominentes Beispiel ist Marcel Duchamp, indem er Alltagsgegenstände in den musealen Raum verrückt.. Nicht nur räumlich, sondern auf das System den Kontext bezogen. Die Folge ist eine äußerst fruchtbare Irritation der Wahrnehmung. Diesmal holt sie uns in den Erlebnisbereich Wand-Boden. Der Bezug zu uns, den Betrachtern entsteht hier durch unsere tatsächliche Bewegung im Raum. Das fotografische Fragment wird Plastik, bewahrt als Gefäß einen Raum, der unseren Blick von oben zur Wurzel der Erscheinung führt, die entstanden ist im Blick nach oben, in die zum Licht strebende Baumkrone. Eine faszinierende Umkehrung!

Zitat:
“ Je höher man schwingt, desto näher kommt man dem Ursprung“.
Der Ursprung ist vielleicht die elementare menschliche Lebensfreude, jenseits der Angst im totalen Vertrauen.  Flexibilität als Voraussetzung für die Wanderschaft, für die Erprobung möglicher Welten, im Grunde immer auf der Suche nach den Wurzeln. Auch ein Rückweg braucht Mut, und Andrea Freiberg erschafft sich selbst großen  Mut zum Handeln durch Entwicklung neuer Kontexte.

Petra Oberhäuser arbeitet als Materialzauberin. Erschaffen, Ergründen, Formen. Das Material (Glas, Wachs, Blei, Grafit, Filz, Gummi, Papier) generiert den Prozess, findet seine Form als Ergebnis einer intuitiven, empathischen Beobachtung als Bewohner des Planeten und seiner Elemente. Erleben und Leben einhauchen. Menschenwärme und Energie beispielsweise eingepflanzt in Härte und Kühle. Das Material sucht sich seine Heimat in der Form und begrüßt darin unser Wissen über Oberflächen, Temperatur, Taktiles, Geheimnis und offensichtliches. Interessant, auch bei leichtem Zugang passiert Nachfrage…

Helga Seekamp verbindet Fundstücke und künstlerisch erarbeitete Formen, Räume und Natur  wirksam durch die Einbeziehung des Betrachters.

Kai-Uwe Körners Arbeiten sind poetisch. Naturelement und Zivilisation. Verschiedene Ebenen fließen, breiten sich aus, enthalten Unschärfe als Angebot, mit den Gestaltgesetzen zu spielen. Strukturen verstärken, öffnen den Assoziationsstrom, sichern erste Vermutungen ab und verunklären gleichzeitig Bestehendes. Wir finden Brücken zwischen Vertrautem und schemenhaft Bekanntem, begegnen dem Mikrokosmos und dem Weltall pur.

Dago Koblenzer nimmt uns mit in die Tiefen des Ozeans, dem Ort jeden Ursprungs. Unergründlich, rätselhaft – und doch unsere Wiege. Der Künstler benutzt Materialien der Erde zur Visualisierung seiner Ideen. Treibholz, gewachsen, gebrochen, zusammengefügt durch fragile Materialbrücken ähnlich dem Heilungsprozess lebendiger Systeme. Vom Fragment zur Gestalt, hauchzart, neue Formen ohne jede Erdenschwere.

Ingo Schultze-Schnabl öffnet eine Tür mit dem Blick auf Stücke Welt, Stücke Wirklichkeit. Fragmente, die Zugangsmöglichkeiten multiplizieren im Gegensatz zum Dogma der einen Wahrheit. Er fordert den Betrachter, seine Module für den Bau von Wirklichkeit zu erkennen und zu komplettieren. In den Arbeiten finden wir, was unsere Wahrnehmung sucht, wenn wir spazieren und nicht abwarten, bis uns angereicht wird.

Ausstellungsansichten

Bruno Derda verfolgt seinen Weg der Formfindung im Holzschnitt, wobei der Widerstand des Materials sowohl den Prozess als auch das Ergebnis mitbestimmt. Schnörkel und Abwegiges werden zugunsten von Eindeutigkeit ausgemerzt. Die Zeichnung zeigt sich in ähnlicher Formsprache: Starke Struktur, vielfache Ebenen, Verschlingung, strebende Bewegung zwischen den Dingen, Konzentration von Elementen, Anker für die Wahrnehmung in Form von massiven Plateaus im Gewebe, gnadenlose Farbigkeit, Umriss, eindeutig und stark, zarte organische Entsprechung im Inneren. Hier wie dort ein  Raumangebot inklusive Illusion und Realität.

Bruno Obermanns Bilder öffnen einen Stimmungsraum, als wichtiges Element für Erzählung.

Renate Hahn schließlich zeigt dem Betrachter alle Ebenen der Existenz in den Formen der Natur. Sie erschafft die Welle, eine Raumskulptur entstanden aus kindlichen Papierschiffchen innerhalb der künstlerisch geschaffenen Form gesteigert zum Zeichen für Rhythmus, Unendlichkeit, wie ein Herzschlag, Eroberung und Rückzug – Prinzipien der Natur bzw. menschlichen Verhaltens. In einer weiteren Arbeit wirkt ein Brief als Spur,  versponnen zu großer Form als Zeugnis von Bindung, Verbindung, Verständigung, Austausch, Kontakt. Wahrnehmbar als Gewebe, die Daseinswirklichkeit des Betrachters einflechtend. Pflanzenteile als fragile Hülle bewahren das Leben für begrenzte Zeit. Vergang ist Verwandlung, Verwandlung ist Entwicklung. Renate Hahn fragt danach, was bleibt und wie sprechend das ist, was bleibt.

Beim Öffnen der Türen dieser Ausstellung verstehen wir, wir begegnen Dingen mit unterschiedlicher Energie, je nachdem in welchem Zusammenhang sie erscheinen.  Werden Kontraste gebildet zu gewohnten äußern und inneren Bildern und Räumen und deren Selbstverständlichkeit, dann wird die Wahrnehmung irritiert. Der Künstler organisiert das Setting dafür, die Anordnung vor Ort für diese Irritation. Irritation funktioniert, wenn der Betrachter am Werk beteiligt,  irgendwie eingebunden wird in sein Bestehen.

So kann alles, was wir wissen auf einem solchen künstlerischen Weg zirkulieren. Künstler sind Ethnographen der eigenen Kultur. So wie hier: 10 Künstler, 10 Fenster in 10 individuelle Bewußtheitsräume von Wirklichkeit, geöffnet, um unsere zu kontaktieren. Die Belohnung nach dem Öffnen aller Fenster zeigt sich in Form einer enormen Bereicherung. Und wenn es funktioniert, wenn der Funke überspringt, bemerkt man gar nicht, dass der „Augenblick mal „einen Monat dauert.   Schlimme Kinder öffnen heimlich alle Türchen des  Adventkalenders auf einmal. Das dürfen wir heute auch mal tun, schlimme Kinder sein. Viel Vergnügen – und keiner schimpft!

Künstler und Besucher

 

 

Pressestimmen

Siegener Zeitung  05.03.2011