27. Mai – 20. Juni 2010
Städtische Galerie Haus Seel
Marc Baruth · Andrea Freiberg · Elisabeth Jeck · Renate Hahn · Günter Hähner · Thomas Kellner · Kai-Uwe Körner · Petra Oberhäuser · Helmut Riekel · Ingo Schultze-Schnabl
Eröffnung am 27.05.2010 um 19 Uhr
Begrüßung: Steffen Mues, Bürgermeister der Stadt Siegen, Dr. Jochen Dietrich, Vorsitzender der ASK
Einleitung: Karin Puck, vom Museum für Gegenwartskunst, Siegen
In der Frühjahrsausstellung der ASK gehen die ausstellenden 10 KünstlerInnen Marc Baruth, Andrea Freiberg, Elisabeth Jeck, Renate Hahn, Hähner, Thomas Kellner, Kai-Uwe Körner, Petra Oberhäuser, Helmut Riekel und Ingo Schultze-Schnabl ganz an den Anfang zurück.Nichts ist fertig und alles bleibt noch im Prozess. Skizzen und Entwürfe oder auch nur erste Ansätze und Recherchen der unterschiedlichen künstlerischen Auseinandersetzungen werden gezeigt.
Wie und wo entsteht Kunst und welche Medien fangen die ersten Gedanken und Bilder auf? Nach welchen Prinzipien gehen die Künstler vor und welche Stellung haben die Entwürfe im künstlerischen Entwicklungsprozess?Fotografie, Plastik, Grafik, Malerei und Installation ohne Rahmen und Sockel… Frisch aus dem Skizzenbuch, welches dem Betrachter normalerweise vorenthalten bleibt, entsteht ein Zusammenspiel der verschiedensten Anfänge künstlerischer Arbeit.Die Betrachter sollen nicht mit Endergebnissen künstlerischer Arbeit konfrontiert, sondern unmittelbar in die Entstehungsprozesse, das heißt auch in Fragestellungen, Untersuchungen oder in die Phase des Experimentierens einbezogen werden. Unterschiedliche künstlerische Positionen und Pläne der Autoren bestimmendie Ausstellung, die insbesondere fruchtbare Dialoge und Diskurse zwischen den Kunstschaffenden und den Rezipienten anstoßen soll.
Zur Eröffnung sprach Karin Puck, vom Museum für Gegenwartskunst, Siegen
aller Anfang
Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne.
Dieser Satz – eine Abwandlung eines bekannten Satzes von Hermann Hesse – drückt aus, dass es sich nicht einfach leicht anfangen lässt. Bevor etwas (Neues) beginnen kann, setzt häufig erstmal etwas anderes ein: das Aufschieben, Vor-sich-Herschieben, das Darüber-Nachdenken (Prokrastination = für Morgen lassen).
Ein Anfang will gut überlegt sein.
Ihm geht in der Regel eine Latenzphase voraus, in der man unterschwellig Gedanken hin und her bewegt, Alternativen erwägt, Entscheidungen eher unbewußt trifft.
Die Idee dieser Ausstellung: Die Betrachter sollen nicht mit Endergebnissen künstlerischer Arbeit konfrontiert, sondern unmittelbar in die Entstehungsprozesse, das heißt auch in Fragestellungen, Untersuchungen oder in die Phase des Experimentierens einbezogen werden. Die Künstler haben sich also entschlossen, Vorarbeiten, Konzepte und den Blick hinter die Kulissen zu zeigen. Das Augenmerk liegt auf dem Prozeß und auf dem Anfang.
Was kann uns daran interessieren?
Der Zauber des Beginnens, des Anfangens: A wie Anfang: Beginn, Start, Premiere, der erste Schritt, auf den ersten Blick, einen (neuen) Anfang machen: Anfang ist Aufbruch, Chance, Möglichkeit. Es ist ein Blick in den offenen Raum, ins Ungewisse. Vor uns breitet sich die süße Fülle der Möglichkeiten aus, in scheinbar unendlicher Zahl. Das Erkunden und Entdecken, das Erforschen in jede Richtung, das Staunen, das Lernen, die neue Erfahrung, neue Erkenntnis. Produktivität, Wachstum. Spielen. Alles scheint erlaubt im kreativen Chaos und der Gedanke ans Scheitern ist weit entfernt. Es ist ein Unterwegssein in eine scheinbar gute Zukunft, voller Erwartung. Alles scheint sich mit allem verbinden zu können. Getragen wird dieses “Noch-Nicht” (auch das Noch-nicht-Bewußte, Noch-nicht-Gewordene nach Ernst Bloch) von der Grundhaltung des Optimismus.
Am Anfang ist scheinbar alles möglich.
Dieser Phase des Aufbruchs folgt zwangsläufig das Stadium der Krise. Sie kennen das – der Morgen danach. Was in den Tagen zuvor alle Möglichkeiten der Welt in sich zu bergen schien, erscheint jetzt in einem anderen Licht. Die Phase der kritischen Überprüfung setzt ein, die Arbeit gerät ins Stocken, die Hoffnung kommt ins Wanken. Hier ist die ganze Zuversicht und Erfahrung gefordert, um nicht alles zu verwerfen und kurzerhand in die Tonne zu treten.
In der abschließenden dritten Phase können – nach reiflicher Überlegung – kritische Einwände integriert werden und die Arbeit kann zu einem guten Ende geführt werden. – Hoffentlich!
Diese künstlerische Arbeit bewegt sich also in den Polen zwischen:
• Arbeit und Inspiration
• Disziplin und Gelassenheit
• Recherchieren und Eingebung
• Suchen und Geistesblitz
• Quälen und den Dingen ihren Lauf lassen
• Zweifeln und Gewissheit
• Schöpfen und Verwerfen
• Abwarten und produktiver Aktivität
• Zwischen handeln und Geschehenlassen.
Die Ausstellung von Prozessen und von Konzepten ist das Vorstellen eines nicht abgeschlossenen Vorgangs. Der Prozeß hat eine offene Struktur, ihm haftet etwas Unbestimmtes an und weist prinzipiell auf die Utopie. Der Betrachter kann durch diese Offenheit gar nicht anders, als in ihn hineingezogen werden. Produktion und Rezeption fallen hier unausweichlich ineinander. Wir sind gefragt, etwas in das Werk hineinzutragen, das durch dieses Werk bei uns ausgelöst wurde. Das Werk wird dadurch durch den Betrachter verändert und vollendet. Und da es nicht einen Betrachter gibt mit der einen Sichtweise, gibt es eine Vielfalt an imaginären Fortsetzungen und Vollendungen. (Im Gegensatz dazu: In einem abgeschlossenen künstlerischen Prozess ist das Ende der Produktion der Beginn der Rezeption, es gibt also ein Nacheinander.)
In dem Fall der gezeigten Skizzen und Konzepte handelt es sich um ein Versprechen, ein Versprechen auf etwas, das noch nicht in der Welt ist. Es ist eine Art Ankündigung, ein Vorschein auf Etwas in der Zukunft. Das Konzept ist mehr dem Anfang verpflichtet als dem Ende. Es ist die Ankündigung eines Werkes. Wir können nicht sehen, ob diese Ankündigung eingelöst wird oder nicht. (Es befreit zugleich die Kunstwerke von der Last der genialen Handlung.)
Und etwas anderes spielt hier noch eine Rolle: Kunst fällt nicht vom Himmel, sondern wird gemacht. Sie entsteht nicht aus Inspiration (=göttlicher Geist oder göttlicher Eingebung), sondern durch das Zusammenwirken von Kopf und Hand, Denken und Tun.
Jeder der hier ausgestellten Künstler zeigt das auf seine oder ihre eigene Weise:
Marc Baruth zerlegt historische Gemälde und setzt sie digital neu zusammen. Er studiert den Bildaufbau eines Gemäldes des bedeutenden Landschaftsmalers Carl Blechen. Mithilfe einer Handskizze analysiert und isoliert dessen Struktur. Diese Struktur ist die Grundlage für eine Eigenkomposition aus fotografierten Bildteilen, die er quasi wie einen Bausatz verwendet und aus denen er das Bild neu entstehen lässt.
Andrea Freiberg hat einen Traum: Sie möchte in ihren Garten wandern. Er liegt in ihrer Heimat in Ostdeutschland. Alljährlich verbringt sie dort einige Wochen im Sommer. In ihrem Ausstellungsbeitrag sieht man die Planungen für ihre Fußwanderung von Siegen nach Niederroßla über die Strecke von 289 km, bestehend aus Zeichnungen, Fotografien, Landkarten und Wegeskizzen. Der Betrachter kann im Kopf mitwandern.
Günter Hähner zeigt ganz klassische Vorzeichnungen als Pläne für seine Malerei. Seine Skizzen und Zeichnungen helfen ihm als Gedankenstütze und Orientierung für Hell-Dunkel-Verteilung oder Kontraste beim Malen seiner Bilder. Meistens entwickelt der Malprozeß jedoch sein Eigenleben und in den wenigsten Fällen sind die ersten Skizzen und das fertige Bild identisch.
Auch Elisabeth Jeck stellt Zeichnungen aus. Es sind keine flüchtigen Entwürfe oder Vorarbeiten für Bilder, die noch kommen werden. Sondern wir sehen sorgfältig ausgearbeitete Naturstudien mit lebendigen Schraffuren, deren Ausführung abgeschlossen ist. Es ist das Medium Bleistift, das für die Künstlerin der Inbegriff des Beginnens darstellt.
Thomas Kellners Fotos entstehen in einem sorgfältig geplanten Prozeß. Dabei werden die Negativstreifen, so wie sie fotografiert wurden, eins zu eins geprintet. Der Arbeitsprozeß bestehend aus Wahl des Motivs, Handszkizze mit detaillierter Planung der Kamerablickwinkel und Probekontaktabzug wiederholen sich bei jedem Motiv und sind von ihm modellhaft zu Tableaus zusammengestellt.
Kai-Uwe Körner arbeitet mit dem Graffitikünstler Kai Niederhausen zusammen. Die hier ausgestellten Fotos mit Straßenkunst aus Barcelona hat er digital bearbeitet und farblich verändert. Damit sind sie vorbereitet für die Übermalung durch den befreundeten Graffitikünstler. Der Betrachter kann sich die Frage stellen, wie dessen Eingriffe wohl aussehen mögen?
Petra Oberhäuser dokumentiert die Vorbereitungsarbeiten für ihre Kunstaktion „Kunstweg, die Sieg kommt aus ihrem Bett“, etwas, das jetzt Wirklichkeit zu werden scheint. Petra Oberhäuser zeigt die aufwendige Planung und die vielen Schritte von der Idee zur Verwirklichung eines Kunstwerks im öffentlichen Raum.
Helmut Riekel kommt ursprünglich von der Schrift. Der Schrift folgten die Buchstaben. Die hier gezeigten Arbeiten, in denen jetzt die Zeilen charakteristisch sind, sind als Probecollagen für seine Bilder zu verstehen. In ihnen probiert er Material, Rhythmus oder Farben aus.
Ingo Schultze-Schnabl stellt einen Ausschnitt aus seinem Atelier aus. Einen Tisch mit Blättern, in denen die Besucher wühlen dürfen, eine Mappe und eine Übersicht mit Skizzen. Auf ihnen hat sich der Künstler Rechenschaft über seine Arbeit der letzten 10 Jahre abgelegt. Wo stehe ich? Was habe ich gemacht? Wie geht es weiter?
Renate Hahn schließlich setzt sich mit Anfang und Ende auseinander. In ihrem Video reibt sie sich das Gesicht mit Lehm ein, als würde sie eine Schönheitsmaske auftragen, um sich jung zu erhalten. Spätestens, wenn der Lehm mit rissiger Oberfläche trocknet, wird er zur gealterten Haut.
Gleich anschließend wird sie eine Performance durchführen. Sie wird auf diesem Stuhl Platz nehmen und schweigen. Die Stille und das Nicht-Zeigen deutet hin auf den offenen Raum des Denkens und des Anfangens.
Karin Puck
Arbeiten in der Ausstellung: 2010-05_ask-preisliste
PDF-Download: 2010-05_ASK_aller_Anfang
Pressestimmen
Siegener Zeitung 27.05. 2010
Wie alles beginnt
Siegen Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler gibt im Haus Seel Einblicke in Arbeitsweisen
Kunst ist harte Arbeit: „Aller Anfang“ vereint Entwürfe, Skizzen, Skizzenbücher.
Foto: gmz Sie beweisen, dass Anfänge gemacht und durchdacht werden müssen: die zehn Künstler der ASK, die ab heute im Siegener Haus Seel ausstellen.
gmz ♦ Man ist es gewöhnt, dass in Ausstellungen „fertige“ Exponate gezeigt werden, Arbeiten, die der Künstler entworfen, angefertigt, überarbeitet, reflektiert und vielleicht auch korrigiert hat (vgl.: „Plan B“), die in der Ausstellung wirken, als „müssten“ sie so sein. Nicht so in der Ausstellung, die zehn Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler in ihrer mittlerweile schon traditionellen Sommer-Themenausstellung im Haus Seel zeigen (ab heute, 19 Uhr).
„Aller Anfang“ heißt sie und vereint Entwürfe, Skizzen, Skizzenbücher. Und dokumentiert so, was man immer schon ahnte: Kunst ist, frei nach Valentin, harte Arbeit. Auch wenn sie „hinterher“ leicht, schwerelos, stimmig oder auch geschlossen wirkt.
Jeder Künstler geht dabei naturgemäß einen anderen Weg, hat sich dem Thema anders genähert: Renate Hahn stellt mit ihrem „Kunstraum – Raumkunst“, einem grauen Quadrat, das sie auf den Boden geklebt hat, in dem nur ein Stuhl steht, eine ganz grundsätzliche Frage: „Wann beginnt ein Kunstwerk zu existieren?“ Vielleicht schon dann, wenn man es sich nur vorstellt? Zur Vernissage wird sie in ihrem „Kunstraum“ eine Performance zeigen, die genau dieser Fragestellung nachgeht. Besucher können ebenfalls Ideen, Skizzen oder Gedankenentwürfe in einem Skizzenbuch niederschreiben und so ihren eigenen Kunstraum schaffen.
Andrea Freiberg hat den „Anfang“ zunächst einmal wörtlich genommen und sich auf den Weg zum Garten ihrer Kindheit gemacht. Der liegt in der Nähe von Apolda in Thüringen, in einer Ilmschleife. Ihn sucht sie auf, wandert von Siegen dorthin, verarbeitet ihre Erfahrungen auf dem Weg und in dem Garten, die auch aus der Erinnerung gespeist werden, in Dokumenten, die sie per Handy, Mail, Post, Telefon oder auch Brieftaube an beide Endpunkte ihrer Wanderung schickt, wo sich dadurch (hoffentlich, es handelt sich ja um einen Plan) zwei ständig wachsende Ausstellungen ergeben. Ein „Work in Progress“ mit dem „Weg als Ziel“.
Thomas Kellner und Marc Baruth geben Einblicke in ihre Bildkonzipierungen, Thomas Kellner mit skizzierten „Handlungsabläufen“, die Kamerastellungen verdeutlichen, und einem Einblick in die Raumplanung einer Schau, Marc Baruth mit einer Auswahl von Bildelementen, die ihre eigene Geschichte erzählen und aus denen er seine immer dichter, immer konzentrierter und intensiver werdenden fotografischen „Nach-Empfindungen“ konstruiert.
Petra Oberhäuser breitet auf glänzender „Siegwasser-Folie“ ihren Entwurf für ihr großes Projekt „Die Sieg kommt aus ihrem Bett“ aus, als sie die Blicke der Passanten per Kunst auf den Fluss lenkte, der sein Dasein in der Negation fristete. Günter Hähner kommt von der Skizze zum Farbraum-Experiment, Ingo Schultze-Schnabl lässt den Betrachter an einer künstlerischen Bestandsaufnahme teilhaben und macht ihn auf weitere Entwicklungen zwischen Farb-Abstraktion und reduziertem Realismus neugierig.
Elisabeth Jeck geht zu den Anfängen der Kunst, dem Zeichnen, zurück, und zeigt mit feinem Bleistiftstrich die enorme gestalterische Kraft alter Bäume. Kai-Uwe Körner greift die schnelle Kunst des Graffitos auf und setzt sie in ein „langsames“ Umfeld, Helmut Riekel entlockt der Wellpappe geradezu poetische Leichtigkeit, wenn er sie „fast“ zu einem Text zusammenfügt oder weiße Stäbe beinahe zu einem konkreten Gedicht rhythmisiert. –
„Aller Anfang ist schwer“: So lautet die Sentenz meistens. Doch nicht der Anfang scheint schwer, der ist gelungen. Was dann sicher schwer werden kann, ist die durchführende, gestaltende Arbeit, die dahintersteckt!
Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler: „Aller Anfang“ Haus Seel Siegen, Kornmarkt. Bis 20. Juni, dienstags bis sonntags 14 bis 18 Uhr, sonn- und feiertags auch 11 bis 13 Uhr.
Westfälische Rundschau 27.05.2010