November 2009

Auf der Spur

19.11. – 20.12.2009

Winterausstellung der ASK

Andrea Freiberg  ·  Dago Koblenzer  ·  Silke Krah  ·  Petra Oberhaeuser  ·  Ingo Schultze-Schnabl  ·  Helga Seekamp

Staedtische Galerie Haus Seel, Siegen

 

 

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Zur Ausstellung

Wie in den vergangenen Jahren, so zeigen die Künstlerinnen und Künstler der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler auch in diesem Winter ihre Arbeiten in der Städtischen Galerie Haus Seel.

Seit über 85 Jahren besteht die künstlerische Gemeinschaft als eine Arbeitsgruppe, deren Mitglieder sich immer wieder neuen künstlerischen Dialogen und öffentlichen Herausforderungen im In- und Ausland stellen. So unterschiedlich die Arbeitsweisen und Themen der Mitglieder auch sind, so ist es gerade die künstlerische Vielfalt, durch die sich die Künstlergruppe auszeichnet.

Um aus den Bewerbern um die Mitgliedschaft in der ASK neuen Künstlerkollegen „auf die Spur“ zu kommen, setzte sich im Frühjahr diesen Jahres eine Jury zusammen. Entschieden hat sich die Gruppe für die Aufnahme des Siegener Künstlers    Dago Koblenzer.

Versatzstücke des Alltags, wie Möbel oder Holzspanplatten zerlegt Koblenzer um diese wieder zusammenzufügen. Es entstehen Reliefs, die die Spuren des Arbeitsprozesses gestalterisch aufnehmen. Mit Zerstörungs- und Aufbauprozessen setzen sich seine plastischen Arbeiten und Wandreliefs auseinander. Aus Bruchstücken und Fragmenten, entstehen abstrakte oder figurative Formen, die neue Ganzheiten bilden.

Gemeinsam auf Spurensuche mit Dago Koblenzer begeben sich noch Helga Seekamp, Petra Oberhäuser, Silke Krah, Ingo Schultze Schnabl und Andrea Freiberg. Die 6 Künstlerinnen und Künstler der ASK bleiben ihrem Publikum weiter „auf der Spur“ und präsentieren rund um das neue Mitglied ihre Arbeiten, die Vergangenes und Gegenwärtiges verknüpfen. Menschen und Gegenstände können Spuren hinterlassen, Geschichten erzählen, Assoziationen und Erinnerungen wachrufen. Aber auch Oberflächen und Texturen laden zur Spurensuche ein.

Fundstücke wecken Assoziationen, beschwören Bilder und Gedanken herauf und werden damit zum Haftgrund individueller Interpretationen von Ereignissen und Zusammenhängen, wie für Silke Krah ein Zeitungsausschnitt, eine Buchseite, ein Schriftzug auf einem Handtuch oder gefundene Buchenzweige Ausgangspunkte für neue Arbeiten sein können.

So verwandelt Petra Oberhäuser Materialien wie Glas, Wachs, Blei, Papier und als neuestes auch Gummi zu Kunstobjekten, die das Wesen der Dinge zu ergründen versuchen. Ein LKW-Schlauch, der hundert Tausende Kilometer auf der Spur geblieben ist, beschreibt jetzt in Streifen geschnitten eine neue Spur, die sich vom Knäuel abgerollt durch den Raum schlängelt.

Ingo Schultze-Schnabl stellt Grafik aus. Diesmal aber keine Stahlträger und Industrielandschaften, sondern bewaldete Landschaft und Ludwig-Richter-Idyllen. Seinen Medien der Zeichnung und Malerei bleibt er ebenso auf der Spur wie der Kraft von Linien und Strukturen. Dabei stellt er bekannte Sehgewohnheiten in Frage. Spuren sind wie Zeitzeugen. Helga Seekamp beschäftigt sich mit fotografischen Zeitdokumenten als Teil einer Spurensuche. Der „flüchtige Blick“ besonders im Bereich des Alltäglichen und die Momentaufnahme aus dem Zugfenster dokumentiert die Beobachtung, die normalerweise im hektischen Alltag spurlos verschwindet. Seit 2001 realisiert Andrea Freiberg Installationen im öffentlichen Raum polnischer und deutscher Städte. In der Installation „Subbotnik – Bekehrung der Oberstadt“ wurde im Juli 2003 eine raumgreifende Skulptur aus Bimskies auf dem Unteren Schlossplatz in Siegen geformt. Indem 40 Freiwillige den Schlossplatz „bekehrten“, entstand eine plastische Linie gleichfalls als eine Spur der Begegnung.

 

 

Zur Eröffnung sprach Andrea Freiberg

Liebe Gäste und Kunstinteressierte,

wann wird etwas zu einer lesbaren Spur und wo finden sich Schnittmengen und Anknüpfungspunkte? Nachdem sie mit, dem Blick hinter die Kulissen, die virtuellen Spuren einer Kommunikation durch das Internet zur Themenfindung unserer Gruppenausstellung aufnehmen durften, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die zeichnerischen, plastischen, fotografischen und performativen Spuren der Künstlerinnen und Künstler lenken.

Versatzstücke des Alltags, wie Möbelteile und Holzspanplatten zerlegt Dago Koblenzer, um diese neu und anders zusammenzufügen. Seine Wandreliefs erinnern fragmentarisch an Schriftzeichen, Tier- oder Pflanzenformen. Die Spuren der Zerstörung nimmt er gestalterisch auf und konturiert daraus spielerisch neue Zusammenhänge. Stellenweise bleiben die Gebrauchsspuren der zerlegten Möbelstücke stehen und verweisen so auf deren ursprüngliche Funktion. In den Prozessen der Neubildung und Verwandlung findet Dago Koblenzer eine Formsprache, welche eine Ganzheit als möglichen Zusammenhang seiner einzelnen Bestandteile vorgibt. Das Eigenleben des Materials und die Spuren des Aufbruchs geben letztendlich einen neuen Rhythmus an.

 

Silke Krah zeigt Zeichnungen und Frottagen. Mit Graphit frottierte Spuren von den Gegenständen, welche zum Inhalt ihrer Handtasche gehören, werden zum bildlichen Bestandteil surrealistischer Welten und Gestalten. Poetisch sind in den zarten Zeichnungen auf vergilbten Buchseiten Abdrücke von Schlüsseln, einer Niveadose oder einem Maßband … zu lesen. Andere Motive, wie Stacheldraht und Weidezäune fand sie im Winter, als der Schnee die Konturen der Landschaft eingehüllt hat. Den unscheinbaren und alltäglichen Dingen auf der Spur, zeichnet sie Ecken im Raum, Schienen, einen Türrahmen, einen Baum, einen Wald.

 

Ingo Schultze-Schnabl zieht seine Linien auch durch den Wald. Konturierend trennt er das Innen vom Außen, markiert Flächen und Grenzen. Indem er bildliche Zusammenhänge aufbricht und zerlegt bietet er dem Betrachter grafische Suchbilder an. Digital spüren, die mehrteiligen Schwarz–Weißdrucke Linien und Strukturen aus alten Ludwig-Richter-Idyllen auf und untersuchen diese auf ihre formale Bildlichkeit zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Zerteilt und auf den Kopf gestellt verwischen jedoch diese Baustellen idealer Landschaften die Spuren zu Ludwig Richter und öffnen den Blick in eine verwegene Bildsprache zwischen vertrauten Wahrnehmungsmustern und visuellem Neuland.

 

Petra Oberhäuser spürt physischen und physikalischen Eigenschaften von Materialien, wie Glas, Wachs, Blei, Papier und seit diesem Jahr auch Gummi nach. Durch die Bearbeitung und Verformung von Materialien versucht sie das Wesen der Dinge zu ergründen. Gleichzeitig werden aber auch elementare Bedingungen der Plastik, wie die Schwerkraft und Raumwirkung untersucht, wenn sie die Wölbung von LKW-Schläuchen ausgenutzt, um daraus schwebende oder raumgreifende Formen zu entwickeln. Es entstehen nicht nur Figuren, die einem Mantarochen, einer Maske oder einer überdimensionalen Lippe gleichen. Die LKW Schläuche übertragen den Kontext der Fahrbahn und der Bewegung, wenn sie daraus ca. 30 m lange sichtbare Spuren schneidet und diese im Raum ausrollt.

 

Spuren sind wie Zeitzeugen von Menschen und ihren Dingen im Alltag. Helga Seekamp reist seit einiger Zeit mit der Bahn nach Norddeutschland oder nach Frankfurt. In Gießen ist der Ausstieg rechts, wenn man von Frankfurt kommt und in Herborn, Dillenburg und Haiger macht der Zug auch Station. Auf ihrem Fensterplatz beschäftigt sich Helga Seekamp mit fotografischen Zeitdokumenten als Teil einer Spurensuche. Unterwegs ist die Verwandtschaft zwischen Raum und Zeit im stetigen Fluss wechselnder Ansichten besonders wahrnehmbar. Momentaufnahmen, besonders im Bereich des Alltäglichen, wie die von einer gelben Rose im Cockpit des Busfahrers, halten den „flüchtigen Blick“ fest, welcher unter Umständen im hektischen Alltag spurlos verschwindet.

 

Eine Linie trennt und verbindet gleichzeitig, wie auch eine Grenze Spuren in der Geschichte zurücklassen kann. Der Begriff SUBBOTNIK bezeichnet eine ehrenamtliche Tätigkeit zum Wohle der Gemeinschaft. Erstmals in der Sowjetunion zum Wiederaufbau der Kriegstrümmer eingeführt und in der DDR nachgeahmt, inszenierte Andrea Freiberg mit rund 40 Beteiligten einen SUBBOTNIK im Sommer 2003. Aus 3 m³ Bimskies wurde eine plastische Linie gekehrt, welche als eine Spur dieser Begegnung einen Tag lang sichtbar war. Die Installation, unter dem Titel „Feierabend“ greift auf Elemente dieser Aktion zurück und im Film ist diese Performance dokumentiert. Formen und Konstellationen der physischen Begegnung von Personen zeigen die veraltet wirkenden Fotografien.

Im Namen der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler bedanke ich mich recht herzlich für Ihr Kommen, Ihr Interesse und ich bedanke mich insbesondere für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass ich Sie auf die Spur bringen konnte.

Andrea Freiberg

 

 

Pressestimmen

Siegener Zeitung 19.11.2009

Von Arbeits- bis Alltagsspuren

Fünf langjährige ASK-Mitglieder flankieren Neumitglied Dago Koblenzer

zel  Die Themenfindung war offenbar eine Spur lustiger. Eine Woche lang wurden bemerkenswert viele E-Mails geschrieben zwischen den langjährigen Mitgliedern und dem neuen Mitglied der ASK, Dago Koblenzer (die SZ berichtete). Von der „Linie“ seien sie auf die „Spur“ gekommen, erzählen die Siegerländer Künstler bei der Vorabbesichtigung ihrer Gemeinschaftsausstellung „Auf der Spur“, die heute um 19 Uhr in der Städtischen Galerie Haus Seel eröffnet wird. Ein Thema, das sich auf vielfältige (Sicht-)Weisen und mit älteren und neueren Arbeiten inhaltlich füllen lässt. Vielleicht aber auch nur der kleinste gemeinsame Nenner.

Traditionell stellt die Winterausstellung der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler (ASK) die Neuaufnahmen vor. Da es in diesem Jahr nur Koblenzer war, der Aufnahme in den Kreis gefunden hat, gruppieren sich fünf weitere Mitglieder mit ihren Arbeiten um die zerbrechlich wirkenden Holzarbeiten Koblenzers. In seinen Reliefs sind zum einen Spuren des Arbeitsprozesses zu sehen, aber auch Spuren des Gegenstandes, den er bearbeitet hat. Die gebrauchte Schranktür ist bei einem Werk noch deutlich am Griff zu erkennen, ein anderes, leuchtend blaues verrät hingegen nicht, woher es stammt, hat seine Spur verwischt.

Auf die Spur des Wassers hat sich Petra Oberhäuser begeben. Sie zeigt eine großformatige Arbeit aus grafitgeschwärztem Papier, das, schraffiert und gefaltet, eine plastische und bewegte Wirkung erzielt. Aktuell ist Oberhäuser von dem Werkstoff Gummi fasziniert. Alte Lkw-Reifen-Schläuche sind das Material der Wahl. Zwei Knäuel geben Bänder frei, die sich durch den Raum ringeln, zudem zeigt sie Skulpturen aus dem schwarzen Gummi, die faszinierende Formen annehmen und Assoziationen wecken – an einen Mantarochen, an ein paar dicke Lippen … Andrea Freiberg hat 2003 mit der Aktion „Subbotnik – Bekehrung der Oberstadt“ auf dem Platz am Unteren Schloss eine Markierung gesetzt. 40 Freiwillige „bekehrten“ den mit Bimskies belegten Schlossplatz und formten eine Linie, die als Grenze, aber auch als „Spur der Begegnung“ der Menschen gesehen werden kann. Ihre Aktion hat Freiberg in einem Film festgehalten, den sie nun zeigt. Desweiteren stellt sie digital bearbeitete Fotos der „Bekehrung“ vor, die, übereinandergelagert, einem bei aller modernen Technik altertümlich vorkommen können.

Dass man bei den Schwarzweiß-Arbeiten solche von Ingo Schultze-Schnabl vor sich hat, sieht man auf Anhieb. Wieder hat der Neunkirchener ein Ganzes vertikal aufgebrochen und überprüft die Bildwirkung und den Grenzbereich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Nur stellt sich Schultze-Schnabl diesmal mit grafischen Arbeiten vor. Seine Stadtlandschaft mit Bäumen versucht man mit den Augen wieder zusammenzusetzen – und scheitert hier und da. Ebenso wie bei den Holzschnitten Ludwig Richters, die der Künstler als Digitalvorlage bearbeitet hat. Die Kirche im Dorf steht Kopf.
Silke Krah liebt die Spuren auf gebrauchten Gegenständen, die sie ummünzt und sich für ihre Kunst zueigen macht. Sie hat „seit Jahren nochmal gezeichnet“ – Zäune in verschneiten Sauerlandlandschaften – und zwar auf die Schmutztitel von vergilbten Taschenbüchern. Aus Schlüssel, Handy, Nagelschere ist in Frottagetechnik ein Eulentier entstanden, da schau an. Spuren des Alltäglichen will Helga Seekamp festhalten in ihren Fotos, die sie auf Bahnfahrten gemacht hat. Die Serien zeigen Schienen, Landschaften, Bahnhöfe zwischen Frankfurt und Siegen – Momentaufnahmen von Eindrücken, die sonst nur vorbeirauschen.

Eine Spur mehr klammerbildendes Element hätte man sich für die Ausstellung gewünscht, in der schöne Arbeiten von sechs Künstlern etwas unschlüssig nebeneinander stehen. Oder aber: Der Bezug entsteht im Auge des Betrachters, wenn der ihm auf die Spur kommen will.

 

Westfälische Rundschau 18.11.2009

Zu sechst sind sie „auf der Spur”

Siegen, 17.11.2009, Knut Lohmann

Im Winter pflegt die Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler den Neuaufgenommenen die Chance zu geben, ihre Arbeiten in einer Ausstellung im Haus Seel zu präsentieren. In diesem Jahr war es nur ein Neuer, nämlich Dagobert Koblenzer. So haben sich fünf andere mit ihm zusammengetan und sich auf ein Thema geeinigt. Das muss eine schwere Geburt gewesen sein – jedenfalls nach Aussagen der Beteiligten. Um Linien, Umrisse, Konturen sollte es gehen; aber der richtige Begriff stellte sich erst nach langem Ringen ein: „auf der Spur”. Sichtbare Zeichen des Arbeitsprozesses

Für Dagobert Koblenzer ist es wichtig, dass am fertigen Werk noch die Spuren der Arbeitsprozesse zu sehen sind. Das Relief, welches entsteht, wenn er aus Holzspanplatten Materialstücke herausschlägt, scheint lebendiger zum Betrachter zu sprechen als eine geglättete Form. Andrea Freiberg dokumentiert mit Video, Überblendbildern und Besen ihr Projekt „Subbotnik – Bekehrung der Oberstadt”: freiwillige Arbeit für die Gemeinschaft hinterlässt Spuren – grafische wie vielleicht auch ideelle.
Helga Seekamp hat aus dem Eisenbahnzug heraus Bahnhöfe zwischen Frankfurt und Siegen fotografiert und dabei die Spuren der Bahngleise benutzt, um dort, wo Ihr Fotoapparat hinzielte, Spuren des Alltäglichen zu entdecken. Petra Oberhäuser hat das Thema sehr ernst genommen: Ein Lkw-Schlauch, der hunderttausende Kilometer auf der Spur geblieben ist, beschreibt, für die Ausstellung in Streifen geschnitten, eine neue Spur, die sich vom Knäuel abrollt und durch den Raum schlängelt. Silke Krah beschäftigt sich mit der subjektiven Spurenlese und ihrer Deutung. Realität im Abstrakten – und umgekehrt Sie zeichnet auf leere Schutztitelseiten alter Bücher beispielsweise Zäune, die in einer Sauerländer Schneelandschaft Spuren von Eigentumsgrenzen erkennen lassen: „Ich stehe auf meinem Land und gucke auf deines”, heißt eine diese Arbeiten. Ingo Schultze-Schnabl sucht Spuren von Realität im Abstrakten und Spuren des Abstrakten in der Realität – die konturschwachen Übergänge zwischen beiden in zerschnittenen Stadtbildern oder Ludwig-Richter-Zeichnungen.

Das Fragezeichen hinter dem „Woher” der sechs Spurensucher scheint sich mit der Skizzierung ihrer Arbeiten zu verflüchtigen – mindestens für den, der mit ihrer Arbeitsweise vertraut ist. Das Fragezeichen hinter dem „Wohin” wird uns auch fernerhin beschäftigen.

 

Westfalenpost 18.11.2009