Idylle
30.11. – 21.12.2006
Ingo Schultze-Schnabl · Jochen Dietrich · Eckard Putzmann · Petra Oberhäuser · Bruno Obermann · Helga Seekamp · Margret Judt · Günter Hähner
Städtische Galerie Haus Seel, Siegen
PDF-Download: 2006-11_ASK_Idylle
Schützengraben-Idyllen und andere Höllen
Jochen Dietrich: Anmerkungen zu einem alten Spielzeug
Wer sich mit der Idylle künstlerisch befassen will, betritt gefährliches Terrain. Paradoxerweise tut er das, weil sein Gegenstand sozusagen per definitionem überaus ungefährlich ist. Idyllisch ist, was friedlich und friedfertig daherkommt, ruhig, unbewegt, harmonisch, paradiesisch, rundherum schön bis zur abgrundtiefen Harmlosigkeit. Kunst, die sich die Idylle zum Programm macht, steht nicht zu unrecht im Verdacht, diese Harmlosigkeit zu teilen. Jedenfalls dann, wenn alles gut geht, einigermaßen. Wenn es schlecht geht, ist sie nicht nur auf ärgerliche Weise harmlos und unverbindlich, sie setzt sie sich dann, wiederum zu Recht, dem Vorwurf aus, borniert zu sein. Mit dem Kopf im Sand, rückwärts gewandt, irrelevant. Warum auch sollte man die immer gleichen Glöckchen anschlagen, nur um das immer gleiche Liedchen zu spielen?
„Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,
dann knospen und blühen die Blümlein auf.
Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf,
dann schwimmen die Sternlein hinterdrein.
Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht,
dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt.
Doch Lieder und Sterne und Blümelein
und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein
Wie sehr das Zeug auch gefällt,
so macht´s doch noch lang keine Welt.“
Soweit Heinrich Heine, Autor einiger Idyllen, die zum Sterben schön sind und zugleich ihr hellsichtigster Kritiker – nein, er kritisiert die Idylle nicht, er liebt sie. Aber er ist klug genug, sich und sein Publikum stets schmerzhaft daran zu erinnern, dass es sie nicht gibt, die Idylle. Machen wir dennoch, und sei es nur um der deutschen Gründlichkeit willen, den Versuch, sie zu fassen. Zwei Wege bieten sich an: positiv einerseits und – sozusagen hintenrum – ex negativo.
Eingereichte Publikumsbilder zur Idylle
Was heißt Idylle?
Einige der in Siegen ausgestellten Arbeiten beschreiten offensichtlich den ersten Weg: Sie rufen auf, was zu unserer Vorstellung von Idylle gehört. Sie tun dies mal ironisch, mal empathisch, je nach Temperament und Erkenntnisinteresse des/der AutorIn. Elemente aus Heines Glockenspiel begegnen uns, zuweilen travestiert. Zentral jedoch scheint eines: die Landschaft. Idylle braucht einen Ort, eine Bühne. Ob darin nun Spuren menschlicher Anwesenheit sichtbar und manifest sind oder nicht, niemals erscheint die Landschaft als Wildnis, sondern geordnet, organisch, ganz. Sie dient, wie Dante Martins Teixeira, Direktor des Naturkundlichen Nationalmuseums Rio de Janeiro, in seinem Beitrag zum Siegener Johann-Moritz-Symposium 2004 formulierte, als Projektionsfläche: „(Dies Phänomen ist) keineswegs neu. Schon immer geht es einher mit einer Art befreiender Träumerei, die die Naturlandschaft, sei sie nun wild oder pastoral, mit der Sehnsucht nach einem fabelhaften Goldenen Zeitalter identifiziert, auf der Flucht vor einer grauenhaften sozialen Wirklichkeit, oder auf der Suche nach verheißener Größe, groß genug um sich den unerträglichen Druck der kleinen Alltagssorgen vom Hals zu halten. Dieses Gefühl ist jedoch in höchsten Maße zweischneidig, denn die tatsächliche Welt der Natur, bestehend aus Schweigen, Chaos und uralter Nacht, hört nicht auf, so ungastlich zu sein wie seit Anbeginn der Zeiten: ein Fluch, den es zu bekämpfen gilt mit aller Kraft und allen Mitteln, auch wenn die aktuell geltenden Diskurse noch so laut vom Gegenteil reden. Erst die vollständige Unterwerfung macht den Mythos möglich, denn erst um die besiegte, unschädlich gemachte Widersacherin rankt sich die Legende, die idyllische Version der Naturlandschaft als eines Paradiesgartens – eine Phantasie, die sich von traurigen, domestizierten Überresten nährt wie dem Landhaus, dem Stadtwald, dem Nationalpark.“ (Übersetzung J.D., Veröffentlichung in Vorbereitung)
Die Landschaften der Idylle haben eine zweite erstaunliche Eigenschaft: es sind in aller Regel beschriebene Landschaften. Idylle ist zwar vor allem ein visueller Topos, ist etwas geschautes, ein Bild; aber sie konstituiert sich im Modus des Textes.
Bruno Obermann zum Beispiel: als ich ihn bat, mir im Vorfeld der Ausstellung Informationen zu seinen Arbeiten zu schicken, sprach er von der persönlichen Erfahrung der Landschaft auf seinen Reisen durch Skandinavien. Er sprach aber auch von Literatur: von August Strindberg, der eben diese Landschaften in seinen Werken heraufbeschworen – ich würde weitergehen – sie allererst erzeugt hat. So verstanden wäre Idylle ein Gegenstand, der seine Existenz einem eigenartigen Dialog der Medien verdankt.
Es war aber noch von einem zweiten Weg die Rede, bei unserem Versuch, die Idylle zu fassen: dem negativen sozusagen. Nicht was ist, sondern was nicht ist, steht hier zur Debatte. Auch diesen Weg beschreiten einige der Aussteller, nicht zuletzt ich selbst. Hier kann man die interessante Entdeckung machen, dass die Idylle als Genre geradezu dadurch definiert werden kann, dass sie ein Produkt des Weg- und Auslassens ist. Auch dazu nur ein Beispiel: „Idylle im Schützengraben“ ist das Stereobildpaar betitelt, das ich unter dem Suchwort Idylle – neben 16 weiteren Gegenständen – in den letzten Wochen bei ebay erworben habe: eine Szene aus dem ersten Weltkrieg, MINUS die Tatsache, dass gerade Krieg herrscht. Und diese putzige Hölle im hyperrealistischen Darstellungsmodus des fotografischen Raumbildes. Idylle beruht, das wäre die Vermutung, auf Abwesenheit. Sie ist Ausnahme, ist das Herausgenommene, das vorübergehend angehaltene. Idylle ist der Ausnahmezustand.
Einladung zum Spiel
Abschließend muss man allerdings fragen: Reicht ein Abgesang auf die Idylle? Soll man ironisch mit ihr umgehen? Wollen wir eine Dekonstruktion der Idylle, wollen wir sie dem geschätzten Publikum madig machen, wollen wir am Ende aufklärerisch wirken? Hoffentlich nicht! Idylle ist ein altes Spielzeug, das erneut zur Hand zu nehmen lohnt. Weil es ein schönes Spielzeug ist, bunt schillernd und glänzend. Einige von uns haben seine Möglichkeiten beinahe systematisch durchgespielt, andere spielerisch damit hantiert. Wir sind zum Glück erwachsen. Keines der armen Kinder, die derzeit Gegenstand einer bundesweiten Bildungswut sind, oder Bildungseuphorie, oder sollte man sagen Bildungsneurose. Wir müssen nicht immer gleich etwas lernen, wenn wir bloß spielen wollen.
Daher an unser Publikum die Einladung: Spielen Sie mit!
Dr. Jochen Dietrich, DPG-Mitglied, Siegen
Pressestimmen
Siegener Zeitung, im Blick, November 2006
Siegener Zeitung, im Blick, November 2006
Westfälische Rundschau 2.12.2006