Juni 1996

„Straße“

02.06. – 23.06.1996

Werner Brach  ·  Margret Judt  ·  Gereon Heil  ·  Helga Seekamp  ·  Werner Seekamp  ·  Ute Poeppel  ·  Lutz Kringe  ·  Helmut Riekel ·   Ingo Schultze-Schnabl  ·  Ulrich Bossmann  ·  Günter Hähner ·   Karl-Josef Hoffmann.

Deutsche Bank, Siegen

 

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Gedanken zum Thema “Straße”

Was unterscheidet den Weg von der Straße? Die Straße ist ein befestigter Weg. Auf diesen Befestigungen, den so genannten Heerstraßen, marschierten große Soldatenkolonnen zu allen Zeiten auf Befehl ihrer Vorgesetzten, seien sie nun adelig oder Bürgerliche, die sich empor gedient hatten,   in die verschiedensten Himmelsrichtungen, wo sie eigentlich nichts zu  suchen hatten und schließlich häufig auch nichts anderes fanden ais den Tod.

Glücklich der Gläubige, der dann noch den ehrenwerten und gottnahen Missionar im Gepäck hatte und so am Ende seiner Straße doch noch einer irgendwie gearteten ewigen Seligkeit teilhaftig werden konnte. Er konnte dann nach seinen Glauben sicher sein, seine Straße führt nicht in die Hölle, sondern geradenwegs in den Himmel. Die Befestigung verdanken wir übrigens einem Schotten namens John London Mac Adam. Vor seiner Zeit waren die Straßen allemal Wege, die je nach Witterung im Staub oder im Morast versanken. So spricht man auch vom Lebensweg – nicht von der Lebensstraße.

Denn der Lebensweg hält noch manche Überraschungen und Unebenheiten für uns bereit, so daß wir schon dankbar wären für eine Straße. Alle Wege führen nach Rom – nicht alle Straßen. Wege können uns auch sicher durchs Gebirge leiten, und wer dann vom Weg abkommt, für den kann das übel ausgehen. Manche Straßennamen führen mis in die Irre. So besteht die Milchstraße nicht aus Milch. Und das Straßencafe ist kein Gegenstück zum Milchkaffee.

Obgleich die Straße ein statisches Bauwerk ist, hat sie doch etwas Dynamisches. Das müssen auch jene Jugendlichen begriffen haben, die Fußballplätze meiden und sich immer mehr in Streetball ergehen – also daß, was man ais Kind mit seinen Spielkameraden unternommen hat, wenn man keinen schönen Fußballplatz hatte.  Daß trotz vorhandener Plätze die Straße die größere Attraktivität zu bieten scheint, ist zu” mindest merkwürdig. Denn sollte ein Ball eine Fensterscheibe treffen, so ist der Ärger vorprogrammiert.

Die Straße führt uns sicher zu unserem Ziel, wenn nicht schon der Weg – nicht die Straße – das Ziel ist. Ziel eines Monopolisten ist es, von der Badstraße bis zur Schloßallee möglichst alles in die Krallen zu bekommen. Im Spiel kann man Straßen kaufen. Im wahren Leben geht das nicht, und das ist vielleicht ganz gut so. Stellen Sie sich vor irgend so ein abgedrehter Millionär leistet sich ein kurzes Stück Autobahn, und Sie müßten jedes Mal zahlen, wenn Sie es passieren wollten, um nach Norden oder Süden zu gelangen. Das Chaos auf unseren Straßen würde sich, falls das überhaupt möglich ist, noch weiter vergrößern.

Und wenn die Straße dann endlich einmal den eigenen Namen trägt, dann ist es meistens für alles zu spät Denn dann ist man unweigerlich am Ende seiner Straße angekommen. Doch in diesen post humen Genuß kommen nur außerordentliche Menschen. Damit sind Menschen gemeint, die besonders berühmt, großzügig, begabt, raffgierig oder skrupellos gewesen sind. So ehrt man in Straßen und Plätzen ihr Andenken. Bei der einen Gruppe mag da ein Bedauern mitschwingen, bei der anderen ist sicher Erleichterung am Platz.

Eine besondere Rolle spielt die Straße im Film. Einer aus den 50er Jahren heißt sogar schlicht so, nämlich ,,La Strada” von Fellini, wo sie deutschen Verleiher natürlich wieder halbherzig titelten ,,Das Lied der Straße”. Inzwischen sind die Streifen, die uns für Kinostunden auf einer Straße entführen, Legion. Mai sind sie lustig bis albern, zeigen wilde Verfolgungsjagden, mai sind sie dramatisch und enden in der Katastrophe.

Wir machen uns auf den Weg – nicht auf die Straße. Man wünscht dem Reisenden einen guten Weg. Zur Kräftigung haben wir die Wegzehrung. Und laufen wir in die Irre, so sind wir auf dem Holzweg. Unheimlich kommt uns des Nachts der Kreuzweg vor, und ais Ausweg suchen wir einen Fluchtweg. Mancher Fußweg wird zum Leidensweg. Im ungünstigen Fall ist man bei einem Prozeßweg auf den Gnadenweg angewiesen, doch da der Behördenweg meist im Wege ist, kann sich beim Beschwerdeweg der Instanzenweg leicht zu einem Scheideweg auswachsen.

Wenn Sie jetzt an die Stelle des Weges das Synonym Straße setzen, wird Ihnen das ganze gar nicht mehr so verständlich vorkommen. Nur der Fiskus schlägt überall ohne Unterschied zu: er nimmt den Wegezoll und die Straßengebühren. Er würde sogar noch Gassengeld nehmen oder Pfadpfründe einrichten oder auch  Stegsteuer kassieren, wenn er auch die kleinen Wege ohne große Kosten kontrollieren konnte.

Es gibt zwar einen Erfolgsweg, doch keine Erfolgsstraße. Das sollte bedenklich stimmen, schließlich bedeutet es, daß der Erfolg nicht auf so festen Füßen steht, wie er sollte. Es gibt breite Straßen mit Baumbestand, die sich auch vornehm Alleen nennen, es gibt Landstraßen die sich ais Chausseen bezeichnen, und dann gibt es ganz enge Straßen, die nur noch eine Linie oder Synonym einen Strich bilden, den so genannten Straßenstrich.

Sie liegen meist in besonders ausgewählten Gegenden der großen Städte und zeichnen sich durch ihren Ruf aus, der auch über einschlägige Kreise hinaus ein Begriff ist. Seine Randpflanzen heißen Straßenmädchen, und ihre Tradition reicht in der Geschichte weiter zurück als jede Straße.

Die Straße der Ölsardinen ist zweifellos eine Sackgasse, denn sie endet in der Dose. Und  wo alle Straßen enden, da steht dann vielleicht  die Ode von Horaz, meines Namensvetters, denn ,,hora” ist das lateinische Wort für Stunde: “Wir gehen all einmal dieselbe Straße, früh oder spät fällt aus geschwung’ner Urne des Schicksal Los, dann rudert uns der Nachen in das Exil, der Ewigkeit entgegen”.

Dieter H. Stündel Siegen 2. Juni 1996

 

Pressestimmen

Siegener Zeitung 03.06.1996

 

Westfälische Rundschau 04.06.1996

Rhein Zeitung 06.06.1996